Thunau am Kamp ‒ Das frühmittelalterliche Gräberfeld auf der Oberen Holzwiese
Mit Beiträgen von Karina Grömer, Martin Ježek, Mathias Mehofer, Erich Nau, Gabriela Ruß-Popa und Sirin Uzunoglu-Obenaus
Das Gräberfeld auf der Oberen Holzwiese in Thunau am Kamp (Niederösterreich) ist mit seinen 215 Bestattungen der mit Abstand größte archäologisch untersuchte Bestattungsplatz der Karolingerzeit Österreichs nördlich der Donau. Seit seiner Aufdeckung in den Jahren 1987 bis 1993 wurden der Öffentlichkeit vereinzelte, aufsehenerregende Funde vorgestellt. Die vorliegende Publikation enthält neben der umfassenden archäologischen Auswertung auch die Untersuchungsergebnisse zu Archäobotanik, Materialanalysen, Metallographie, Textilien und Lederresten.
Am Schanzberg von Thunau am Kamp bestand im Frühmittelalter ein befestigter Zentralort, ein Herrschaftszentrum. Es ist die einzige umfassend ergrabene Anlage dieser Art in Niederösterreich. Das Gräberfeld gehörte zum sogenannten Herrenhof, der den Kern der Anlage ausmachte. Es ist zu den Prestigebestattungsarealen zu zählen, die einen essentiellen Bestandteil der Zentren am östlichen Rand des Karolingerreiches bildeten.
In den Bestattungssitten schlagen sich soziale Zugehörigkeiten verschiedenster Art nieder. Deren Präsentation bei der Bestattung beruht sowohl auf tatsächlichen Zuständen als auch auf Vorstellungen und wird durch die/den Bestattete(n), dessen/deren Familie und die Lokalgesellschaft beeinflusst. Besonderes Augenmerk wurde folglich auf die Untersuchung der sozialen Identitäten und Beziehungen der Bestatteten, vor allem auf Sozialstatus und altersspezifische Geschlechterrollen, gelegt. Von der Norm abweichende Bestattungen und Gräber mit mehreren Individuen boten insbesondere die Möglichkeit, sich mit den ihnen zugrundeliegenden Motivationen zu beschäftigen.
Da der Zentralort im 9. Jahrhundert zwischen den beiden Machtsphären des erweiterten Karolingerreiches und des (Groß-)Mährischen Reiches lag und die politische Zugehörigkeit weiter Teile des Waldviertels unklar ist, wird spezielles Augenmerk auf mögliche Aussagen zur kulturellen und politischen Orientierung der hier bestattenden Gemeinschaft gelegt.
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