„Steißpauker“, „Lügen“ und „wehrlose Kinder“: Wie Schulgeographen dazu beitrugen, nach dem Ersten Weltkrieg den Frieden zu verlieren
Dass die Weimarer Republik scheiterte, hat viele Gründe. Einer davon ist im Bereich der Bildung zu suchen. Die Chance, die künftige Generation durch politische Bildung innenpolitisch für ein Leben in der Demokratie zu gewinnen und außenpolitisch für ein friedliches Miteinander der Völker, wurde von zu wenigen ergriff en. Das gilt auch für den Beitrag der Geographie zur politischen Bildung. Im damaligen geographischen Denken wurde der Krieg mehrheitlich als eine Art Naturkraft verstanden, welche die Völker wie alle Lebewesen, die unter Raumnot stehen, unerbittlich in einen ‚Kampf um Raum‘ treibe. Folglich wurde die politische Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg verworfen und im Geographieunterricht die vermeintlich objektive Erkenntnis vermittelt, dass das letzte Wort über Deutschlands territoriale Gestalt noch nicht gesprochen sei. Traditionelle fachspezifi sche Argumente, die sich auf die Landesnatur bezogen, sicherten diese bellizistische Perspektive ab. Das neu hinzugekommene Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde geographisch angepasst und für politische Forderungen instrumentalisiert. Schon früh, 1928, erkannte der berühmte Publizist Kurt Tucholsky nach der Lektüre eines Geographieschulbuches die Brisanz des damaligen geographischen Denkens und fragte sich: „Wann haben wir den nächsten Krieg?“
Schlagworte: Wissenschaftsgeschichte, demokratische und staatsbürgerliche Bildung, Länderkunde, naturalistischer Fehlschluss, sozialdarwinistische Ideologie