Die Reichshofkanzlei ist neben der Hofbibliothek und der Hofreitschule eines der Bauwerke, die Kaiser Karl VI. im Rahmen seines beabsichtigten Neubaus der Wiener Hofburg 1723-29 errichten ließ. Der Reichskanzleitrakt war der erste von vier geplanten Flügeln um den Burgplatz als dem repräsentativen architektonischen Zentrum der Hofburg. Er diente als Regierunszentrale des Kaisers als Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Die Rolle des Kaisers für das Reich bestimmt das Darstellungsprogramm der Fassadendekoration. Die Hauptakzente bilden die vier Statuengruppen mit Taten des Herkules an den beiden Durchfahrten von dem kaiserlichen Hofbildhauer Lorenzo Martinelli, die den Kaiser als "Hercules Victor" verherrlichen. Während das Fassadenprogramm ganz der Reichsauffassung des Wiener Hofes folgt und eine absolutistische Stellung des Kaisers im Reich behauptet, vertrat das Programm des Deckenbildes im Hauptsaal des Repräsentationsappartements in der Reichskanzlei eine ganz andere Reichsauffassung. Es war vom damaligen Reichserzkanzler, Kurfürst Lothar Franz von Schönborn, und seinem Stellvertreter in Wien, Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn, der in der Reichskanzlei sein Hofquartier hatte, bestimmt und vom Hofmaler der Schönborn, Johann Rudoph Bys, gemalt worden. Es wurde zwar nach dem Ende des Alten Reiches entfernt, kann aber aufgrund einer Nachzeichnung und des erhaltenen schriftlichen Konzepts im sogenannten Codex Albrecht in der ÖNB rekonstruiert werden. Es betonte das auf Gegenseitigkeit abgestellte Verhältnis zwischen dem Kaiser und den Reichsständen: "Caesar et Imperium". So wurden am Wiener Kaiserhof mit bildnerischen Mitteln zwei antagonistische Reichsauffassungen propagiert. Ihre Untersuchung verbindet Kunstgeschichte und Politikgeschichte und zeigt an diesem wichtigen Denkmal barocker Auftragskunst, wie Architektur, Skulptur und Monumentalmalerei als politisches Medium eingesetzt wurden.