Dass jedes Volk seine Sprache hat, scheint aus dem Blickwinkel unserer Kultur zunächst selbstverständlich. Seit der Antike gilt Sprache als ein, ja zuweilen als das Definitionsmerkmal des Volkes. Der moderne Nationalismus ging noch weiter und hat in der Sprache den Ausdruck der innersten ‚Seele‘ eines Volkes gesehen; oft wurde davon ein politischer Auftrag abgeleitet.
Gerade die Geschichte des Frühmittelalters gibt gute Voraussetzungen, das Verhältnis zwischen Sprache und ethnischer Identität über lange Dauer hinweg zu verfolgen. In der Epoche zwischen etwa 400 und 1000 werden in Europa sowohl eine Vielzahl neuer Völker und Staaten als auch zahlreiche neue Sprachen greifbar.
Doch wie sollen ,Völker‘ und ‚Sprachen‘ methodisch abgegrenzt werden? Was macht eine ethnische Gruppe zu einem eigenen Volk, und wodurch wird ein Dialekt innerhalb eines Sprachkontinuums zu einer distinkten Sprache? Wann wird etwa aus dem Lateinischen das Altfranzösische? Sind sprachliche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede markant genug gewesen, um Distanz- wie Zusammengehörigkeitsbewusstsein zu begründen? Muss eine identitätswirksame Sprache zugleich die Umgangssprache sein? Welche Auswirkungen hatte Mehrsprachigkeit auf das Identitätsbewußtsein?
Diesen und ähnlichen Fragestellungen gingen HistorikerInnen und PhilologInnen im Rahmen der internationalen Tagung ,Sprache und Identität‘ 2009 in Wien nach. Für das Frühmittelalter wurden sie bisher noch nie in derart breitem Vergleich erörtert. Deshalb bietet der vorliegende Tagungsband, der im Rahmen des Wittgenstein-Preis-Projektes „Ethnische Identitäten im frühmittelalterlichen Europa“ entstanden ist, einen einzigartigen Überblick; seine Ergebnisse sind weit über die behandelte Epoche hinaus von Interesse.
Mittelalterliche und frühneuzeitliche Theorien zur Ausgliederung der Kelten und ihrer Sprachen auf den Britischen Inseln nebst einem Ausblick in die Neue Welt