Mit "Sprachkunst" ist der zentrale Gegenstand benannt, um den es in den literaturwissenschaftlichen Beiträgen der Zeitschrift geht. Eine Tradition der Philologie hat sich auf verschiedene Formen künstlerischer Sprachverwendung und auf poetologische Themen konzentriert. Das heutige Selbstverständnis der Zeitschrift geht davon aus, dass sich diese Tradition auf produktive Weise mit aktuellen Paradigmen moderner Literaturwissenschaft verbinden lässt, um textorientiert den kritischen Eigensinn von Literaturen zu analysieren. Die seit 1970 halbjährlich erscheinende Zeitschrift der Österreichischen Akademie der Wissenschaften setzt sich vor allem mit deutschsprachigen und europäischen Literaturen auseinander, Beiträge können auf Deutsch, Englisch und Französisch publiziert werden. Neben den literaturwissenschaftlichen Aufsätzen erscheinen Rezensionen von Fachliteratur, Forschungs- und Tagungsberichte sowie Verzeichnisse literaturwissenschaftlicher Dissertationen und Habilitationen an österreichischen Universitäten.
Aus dem Inhalt:
Aufsätze:
- Andreas Mahler (Berlin): Illusion / Immersion. Dynamiken der Wirklichkeitssubstitution (am Beispiel des retablo im "Quijote")
- Friedemann Spicker (Königswinter): Kotext und Kontext. Der Aphorismus in seinem Umfeld
- Nicolas von Passavant (Berlin): Nach dem Wurstverlust. Robert Walsers "Die Wurst", poetologisch gelesen
- Andjelka Krstanovic (Banja Luka): Authentizität und Fiktionalisierung. Narrative Überlegungen zu Peter Handkes Erzählung "Wunschloses Unglück"
Verzeichnis der literaturwissenschaftlichen Habilitationen an österreichischen Universitäten
Berichte und Besprechungen:
- Kaltërina Latifi (Göttingen/London): Héctor Canal, Romantische Universalphilologie Studien zu August Wilhelm Schlegel
- François Genton (Grenoble-Alpes): Stefan Maurer, Doris Neumann-Rieser und Günther Stocker, Diskurse des Kalten Krieges. Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Abschiedsvorlesung:
- Michael Rössner (München/Wien): Was ist und zu welchem Ende treibt man Literaturwissenschaft?
Illusion / Immersion. Dynamiken der Wirklichkeitssubstitution (am Beispiel des retablo im ›Quijote‹)
‚Illusion‘ und ‚Immersion‘ lassen sich fassen als Rezeptionsphänomene distanzbewusst spielerischer bzw. fälschlich ernsthafter Wirklichkeitssubstitution. In lebensweltlichen Kontexten vertauscht die Ersetzung Realität und Fiktion, in literarischen Zusammenhängen stellt sie die Vertauschung innerhalb der Fiktion selbst dar. Auf Basis der Hypothese grundständiger deiktischer Doppelung von Rede entwickelt der Aufsatz eine am Gegensatz von referentieller Vereindeutigungsmöglichkeit und ambigem Offenhalten ausgerichtete vierstellige Matrix des Fingierens und demonstriert am Beispiel einer erlebten Anekdote wie des berühmten Puppenspiels in Cervantes’ ›Don Quijote‹ deren Einsatz und Funktion in Fällen lebensweltlich realer wie fiktional dargestellter Immersion.
Kotext und Kontext. Der Aphorismus in seinem Umfeld
Der Autor legt hier den Versuch einer gattungstypologischen Erweiterung des Aphorismus vor und knüpft damit an seine früheren Bemühungen an, Indizien für dessen relative Isoliertheit zusammenzutragen. Er analysiert deshalb zum einen Aphorismen von Karl Kraus, Martin Kessel und anderen im spezifischen Kotext der Komposition des Aphorismenbuches, zum andern die Bearbeitung und Neuverwendung aphoristischer Texte, die ursprünglich im Kontext von Essay oder Roman stehen.
Nach dem Wurstverlust. Robert Walsers ›Die Wurst‹, poetologisch gelesen
Der Aufsatz unterzieht Robert Walsers Text ›Die Wurst‹ einer genauen Lektüre. Er analysiert dessen komplexe rhetorische Struktur und lotet religiöse, sozialgeschichtliche und psychologische Sinngehalte aus. Zum Verständnis des Verhältnisses all dessen profiliert er ein humoristisches Verfahren, das Walsers Text poetologisch spiegelt.
Authentizität und Fiktionalisierung. (Banja Luka) Narrative Überlegungen zu Peter Handkes Erzählung ›Wunschloses Unglück‹
Der vorliegende Beitrag analysiert Erzählverfahren in Peter Handkes Erzählung ›Wunschloses Unglück‹. Die Erzählung markiert eine Zwischenphase in der Entwicklung der narrativen Techniken bei Peter Handke, die er Schritt für Schritt anpasst, um authentische Erfahrungen zu artikulieren. Die Analyse stellt insbesondere die Überschreitung der Grenze zwischen Autor und Erzähler, die Funktion der metanarrativen Ebene und die Problematik der Sprache bei der Vermittlung des Persönlichen heraus.