Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse eines von der Universität Wien durchgeführten Forschungsprojekts an dem prähistorischen Siedlungsplatz von Pointe de Caille, an der Atlantikküste im Süden der Insel Saint Lucia. Die archäologischen Ausgrabungen in dieser Siedlung sind die bisher umfangreichsten auf den Kleinen Antillen. Sie haben eine mehr als 800 Jahre dauernde Besiedlung dieser Gegend, die bisher archäologisch so gut wie unbekannt war, erkennen lassen. Untersucht wurden sowohl Architektur als auch Gräber sowie der gesamte Fundbestand der materiellen Kultur dieser karibischen Bevölkerung.
Nach den chronologischen Ergebnissen der 14C-Analysen war dieser Platz in der Zeit vom 6./7. bis zum 13./14. Jahrhundert n. Chr. besiedelt. Eine Siedlung von derart langer Lebensdauer, die sich über das ganze Postsaladoid erstreckt, ist in der Karibik außergewöhnlich. Für diese lange Periode ist auf den Antillen eine große kulturelle Verschiedenheit typisch, ganz im Gegensatz zu der Einheitlichkeit des vorausgegangenen Saladoids. Folglich hat sich die Untersuchung auf die Beantwortung der vielen Fragen konzentriert, die mit dieser Entwicklung zusammenhängen; ebenso wurden die sozialen und kulturellen Veränderungen untersucht, die während dieses langen Zeitraumes stattgefunden haben. Die Veränderungen manifestieren sich ganz besonders im Bestattungsritual; dort lässt sich für die Zeit vom Saladoid bis zum späten Suazoid eine allmähliche Entwicklung hin zu sozialpolitisch komplizierteren Strukturen erkennen.
Die Monographie enthält überdies die vollständige Untersuchung aller dokumentierten Reste der materiellen Kultur, sowohl der Keramik als auch der Gegenstände des täglichen Gebrauchs und solcher von zeremoniellem Charakter. Die beim Studium der Keramik angewandte Methode hat eine eingehende Analyse der Keramiktraditionen und ihrer Entwicklung ermöglicht. Aufgrund der dabei gewonnenen Ergebnisse ließen sich unterschiedliche Formen des Austauschs zwischen der prähistorischen Bevölkerung von Saint Lucia und derjenigen der übrigen Gebiete der Antillen erkennen, ebenso unterschiedlich intensive Phasen dieser Kontakte im Laufe der Zeit. Außerdem konnte ein über weite Entfernungen reichender Austausch von Prestigeobjekten festgestellt werden, wodurch Kontakte und Ideentransfer über die ganze Karibik zwischen den Großen Antillen und dem südamerikanischen Kontinent nachgewiesen wurden.
Das Buch enthält darüber hinaus einen digitalisierten Katalog (CD-ROM) des gesamten untersuchten Materials und außerdem reichhaltige graphische Informationen, was künftige Untersuchungen zu den einheimischen Kulturen der Antillen erleichtern wird.