Die zweisprachige internationale wissenschaftliche Fachzeitschrift „Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft“ („Annals of the Austrian Geographical Society“) ist das wichtigste regelmäßig erscheinende Organ der „Österreichischen Geographischen Gesellschaft“. Sie erscheint seit 1857 und ist die älteste noch existierende Fachzeitschrift geographischen Inhaltes im deutschen Sprachraum. Dabei werden neue Erkenntnisse aus allen Bereichen der Geographie, Kartographie und verwandter Raumwissenschaften vermittelt, über Fachfragen in Forschung und Lehre, nationale und internationale geographische Aktivitäten sowie Personalia informiert und Gesellschaftsnachrichten publiziert.
Die räumliche Perspektive der Europäischen Union: Territorialität, Subsidiarität, Finalität?
Die räumliche Perspektive der Europäischen Union wird im vorliegenden Artikel reflektiert, indem zunächst an drei aktuelle Debatten an der Schnittstelle zwischen Politischer Geographie und Europarecht angeknüpft wird: Erstens wird seit den 1990er Jahren über eine mögliche Kompetenz der europäischen Ebene im Bereich der Raumplanung diskutiert, wobei die Rolle des Subsidiaritätsprinzips strittig ist. Zweitens knüpft die Debatte um die Erweiterungsmöglichkeiten der EU an die Finalitätsdebatte an. Drittens wird diskutiert, ob das Territorialitätsprinzip, das auf nationalstaatlicher Ebene maßgeblich ist, auch auf europäischer Ebene entsprechend Anwendung zu finden hat. In diese sehr politische Debatte werden Argumente eingeführt, die auf einer Systematisierung der konzeptionellen Debatte fußen, und dies ausgehend vom Territorialitätsbegriff, der am grundlegendsten ist. In einem ersten Schritt wird hierbei eine Differenzierung von analytischen und normativen Begriffselementen vorgenommen. In einem zweiten Schritt wird eine Kategorisierung der konzeptionellen Ansätze vorgeschlagen, die von territorialen, moderat relationalen und radikal relationalen Perspektiven ausgeht. In einem letzten Schritt wird diese Systematik in Beziehung gesetzt zu den Konzepten der Subsidiarität und Finalität.
Multi-Speed European Union: The Schengen Agreement and Perceptions of its Spatiality in Central Europe
The paper highlights perceptions of free cross-border movement of people regulated by the Schengen Agreement. The Agreement had developed gradually in the multispeed institutional context of the European Union (EU). The Schengen process led since the mid-1980s to a stepwise enlargement of the Schengen Area. A multivariate statistical public opinion analysis across 27 EU countries concerning free cross-border movement of people and control of external EU borders specifies two components of perceptions, i.e. positive valuation and practical use, and enables to distinguish four major types of perceptions in the EU-27: positive, peripheral, practical and negative perception. A correlation analysis revealed public opinion cleavages between old and new member countries. Detailed comparison of differences in perception in seven member countries forming the region of Central Europe supported these findings.
Regional Income Inequalities among EU NUTS 2 Regions, 1995 and 2010: Perspectives from a Geographically Weighted Approach
The paper provides an investigation of inequalities in GDP per capita among European Union regions at the NUTS 2 level using a spatial weighting of the Index of Dissimilarity at two differing bandwidths, each based on calculations from one of over 260 regional centroids for both 1995 and 2010. Maps of inequality indices generated in this fashion provide a new view of relative levels of geographically weighted regional inequality from the perspective of each region. The study looks at changes in inequality patterns between 1995 and 2010, and reports results similar to previous studies. Inequalities among all EU regions appear to be declining as the result of decreasing inequalities between Eastern and Western Europe, though at the more local level, inequalities have increased in a number of cases.
Das regionale Dilemma der Europäischen Union: Räumliche Ungleichgewichte in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise
Die Eurozone ist seit 2007 von einer Wirtschaftskrise erfasst, die sich in einem zunehmenden makro-ökonomischen Ungleichgewicht zwischen den einzelnen Volkswirtschaften ausdrückt. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag die Frage nach dem Einfluss der volkswirtschaftlichen Entwicklung auf die regionalen Disparitäten, wobei besonderer Fokus auf die Vorkrisen- und Krisenperiode gelegt wird. Nach einer Diskussion der Region sowohl als Symbol der europäischen Integrationspolitik als auch als Paradigma der räumlichen Sozialwissenschaften untersucht der Beitrag den Zusammenhang zwischen nationalen und regionalen Disparitäten. Räumliche Entwicklungen werden allerdings nicht auf der Ebene der Europäischen Union, sondern im jeweiligen staatlichen Kontext untersucht. Die Analysen zeigen, dass die Krise tendenziell zu einer Divergenz der räumlichen Entwicklung in den zwölf untersuchten Euro-Staaten geführt hat, sowie, dass die makro-ökonomischen Trends einen „Korridor“ vorgeben, in dem regionale und urbane Entwicklungsprozesse stattfinden. Die Ergebnisse legen es nahe, räumliche Prozesse nicht nur ausschließlich durch die „regionale Brille“ zu sehen, sondern die Entwicklungen der Volkswirtschaften sowie Rahmenbedingungen der nationalstaatlichen Ebene mitzudenken.
Trotz Rumäniens Mitgliedschaft in der Europäischen Union: wirtschaftliche und politische Krisen, räumliche Disparitäten
Obwohl Rumänien seit 2007 Mitglied der Europäischen Union (EU) ist, war die wirtschaftliche und politische Entwicklung nach dem Beitritt wenig überzeugend. Die Wirtschaftskrise zwang ab 2009 zu Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), zu Gehalts- und Rentenkürzungen um 25%, zum Anwachsen der Mehrwertsteuer von 19 auf 24%, zu Produktionseinstellungen und zu Bankrotten vor allem der klein- und mittelständischen Unternehmen. Die Folge war ein Absinken des Lebensniveaus und des Konsums, ein Auseinanderdriften der Gesellschaft und ein weiteres Abgleiten an den Rand der EU. Besonders der ländliche Raum und die Randgebiete hatten zu leiden: Geschlossene Schulen und Krankenhäuser sowie bankrotte Farmen vergrößerten die Diskrepanz zu den zentralen Räumen und Großstädten, wo sich die Investitionen konzentrierten. Die Entwicklung des Fremdenverkehrs verlief ebenfalls nicht zufriedenstellend. All das führte auch zu weiteren sozio-ökonomischen räumlichen Disparitäten, wobei die Hauptstadt Bukarest [Bucureşti] und der Kreis Ilfov ihre Spitzenposition weiterhin ausbauten. Das hat zu Diskussionen über eine Neugliederung der regionalen Verwaltung Rumäniens geführt. Die politische Krise des Jahres 2012 hatte auch intensive Bemühungen um eine Verfassungsänderung zur Folge. Es sind also weitere Veränderungen zu erwarten, die allenfalls die Übergangszeit der Reformen beenden könnten.
Amenity Migration in the Southern Andes and the Southern European Alps – A Key Factor for Sustainable Regional Development?
For a long time, peripheral rural mountain regions in many countries were marked by emigration, particularly that of the young and well qualified. In recent decades, we can observe an apparently diametrical process in some regions: ‘amenity migration’, which implies the migration to remote, rural areas. This ‘new immigration’ is targeted at areas of natural beauty and favourable climatic conditions, many of them already known as tourist destinations. Several case studies for different mountain regions show a great variety, both of the migrating persons and the chosen destinations. Based on quantitative and qualitative methods, this paper examines four case study areas in different regions of the southern European Alps and the southern Andes and compares the onset and the intensity of the process, the motivation and the characteristics of the migrants and the significance of this phenomenon for regional development in the target regions. It ends by discussing opportunities and risks for the local population.
Anmerkungen zur Variabilität von Migrationssystemen (mit Erfahrungen aus Lettland und Albanien). Transnationalismus oder Transregionalismus?
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise definiert, ebenso wie es die post-sozialistischen Transformationsereignisse tun, scheinbar einen gleichen Handlungsrahmen für alle. Trotz ihrer ähnlichen Wirkmacht führen solche extern verursachten Ereignisse selbst in vergleichbaren Kontexten aber zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Mit Blick auf Migrationen im Rahmen post-sozialistischer Transformationen wird deshalb, bei aller Diversität der Objekte, der Frage der Variabilität von Migrationssystemen nachgegangen. Die Beispiele Lettland und Albanien sind sowohl hinsichtlich der Rahmenbedingungen (EU-Mitglied versus Nicht-EU-Mitglied) und der jeweiligen Migrationsformen (stabile Emigration mit dauerhaften Zügen versus Massenemigration mit hohem Rückkehrpotenzial) sehr unterschiedlich. In den empirischen Befunden kristallisieren sich differenzierende Elemente heraus, welche in migrationstheoretischen und raumbezogenen Debatten wenig berücksichtigt werden. Mit der vorgeschlagenen Erweiterung des Transnationalismus-Konzeptes um eine transregionale Komponente bereichern wir die Migrationsforschung mit neuen Argumenten.
Ungarische Migranten in Ungarn: Deserteure, Studierende und Berufstätige aus der Woiwodina zwischen transnationaler und ethnischer Migration
Dieser Beitrag befasst sich mit den kurz- und langfristigen Folgen der Jugoslawienkriege für die Emigration von Ungarn aus der Woiwodina [Vojvodina] nach Ungarn. Wir zeigen auf, wie sich die Motive für die Emigration über die letzten 20 Jahre verändert haben, von der Flucht während der Kriege über die Arbeitsmigration während der Krise zur bewusst gewählten Strategie der Bildungsmigration im vergangenen Jahrzehnt. Wir analysieren, wie die Migranten ihre Migrationsgeschichte rekonstruieren und diese wahrnehmen, wie sie mit der Migration umgehen und wie sich die Migration auf die Konstruktion ihrer Identität ausgewirkt hat. Schließlich legen wir besonderes Augenmerk auf die Frage, ob diese Formen der Migration als transnationale Migration mit entsprechenden transnationalen Lebensformen verstanden werden können oder ob es sich um ethnische Migration handelt, im Rahmen derer die Auslandsungarn ins „Vaterland2) zurückkehren“, wie dies oft dargestellt wird.
Soči-2014 and Sustainability: Potential for Conflicts – Local Perception
The suitability of the subtropical Black Sea city of Soči as place for the XXII Winter Olympic Games may have been a surprise - even for geographers. Until 2007 Soči was known in the Western world as a summer resort for the elite of the Soviet working class and later for the higher social classes of the new Russia. In February 2014, for the first time after the fall of the Iron Curtain a post-socialist country will host this mega sports event. The image-pregnant Winter Games 2014 are essentially a manifestation and repositioning of a resurrected "new Russia" on the international political stage in an area extremely conflict-ridden since the decay of the Soviet Union. Viewed from the perspective of sustainability, this paper - part of an ex-ante analysis - focuses on significant natural and cultural regional structures in this Western Caucasus area as well as on the potential for conflict there. Moreover, it addresses also the local perception of Soči-2014. The contribution does not only question how support differs across social groups and what factors predict support for the Olympic Winter Games, but seeks also to gain an understanding of tendencies and new insights in regard to a sustainable regional development.
The Spatial Pattern of Creative Industries in a Transformation Economy: the Case of Slovakia
This paper analyses the spatial pattern of creative industry firms in Slovakia and its evolution since the transformation from a planning to a market economy. We use micro-level data about creative industry firms that give the exact location of these firms in addition to other characteristics. This allows for the application of point pattern and of count data analyses. The empirical investigation shows that despite of the country’s heritage as a transition economy, creative industries in Slovakia behave very similarly to those in other countries and confirm the main hypotheses of the literature. The firms are strongly concentrated in the larger cities, particularly in Bratislava. This concentration differs between sector categories, with business services showing the most concentrated pattern. As far as the evolution of the pattern is concerned, new firms show a significantly less concentrated spatial pattern than the older firms. Nevertheless, the pattern is still concentrated in the larger cities.
Raumplanung im Berggebiet – Instrumente, Akteure und Auswirkungen. Ein Vergleich zwischen den spanischen Pyrenäen und den österreichischen Alpen
Im Artikel wird ein Vergleich zwischen je einem Berggebiet in den spanischen Pyrenäen und in den österreichischen Alpen gezogen. Ziel ist es, die Auswirkungen verschiedener Raumplanungsinstrumente in beiden Untersuchungsgebieten zu bewerten. Hierbei werden der politisch-administrative Kontext sowie die Gesetzgebung im Bereich Raumordnung analysiert. Eine Bestandsaufnahme der öffentlichen Versorgungsinfrastruktur in den Gemeinden wird ebenso einbezogen. Die Ergebnisse zeigen, dass es insbesondere im spanischen Fallbeispiel an der Umsetzung der Raumplanungsin - strumente auf lokaler Ebene mangelt. Es wird argumentiert, dass es zwischen diesem Mangel und dem Mangel an Infrastruktur und anderen öffentlichen Einrichtungen, aber auch den Schwierigkeiten, eine stabile Zusammenarbeit auf überörtlicher Ebene im Bereich der Raumplanung zu etablieren, Zusammenhänge gibt.
Regionale Verteilung von Wallfahrtsorten. Choristische Prinzipien der räumlichen Sortierung christlicher Heiligtümer
Wallfahrtsstätten sind Orte besonderer Verehrung von religiösen Kultobjekten (Gnadenbild, Heiligengrab, Reliquie etc.). Vor allem im Mittelalter entwickelte sich ein sehr engmaschiges Netzwerk von Wallfahrtsorten, das im Grunde bis heute kaum eine Veränderung erfuhr. Allerdings können heute anhand des liturgischen und weltlichen Angebots unterschiedliche Typen von Wallfahrtsstätten statistisch differenziert und in eine hierarchische Ordnung gebracht werden, die jener der Zentralen-Orte-Theorie nach Walter CHRISTALLER ähnelt. Gleichsam lassen sich regelmäßige räumliche Muster nachweisen. Damit korrespondierend sind Unterschiede in der Nachfrage festzustellen, die statistisch mit verschiedenen Besuchertypen korrespondieren. Die variable Nachfrage generiert teilweise auch eine Spezialisierung von Wallfahrtsstätten derselben Hierarchiestufe, wie sie Alfred LÖSCH in der Theorie der Marktnetze formuliert hat. Besonders an der Größe der Einzugsgebiete hochspezialisierter Wallfahrtsorte lassen sich solche räumliche Auswirkungen der Spezialisierung erkennen.
Straßennamen in Wien. Unter besonderer Berücksichtigung von Namen mit geographischem Bezug
Der Beitrag beleuchtet am Beispiel der Stadt Wien Struktur und Bedeutung der Namen von Verkehrsflächen (Straßen, Gassen, Wegen, Alleen, Plätzen, Brücken, Stegen) und beschreibt die konkreten Vorgänge und Prinzipien bei Benennung und Umbenennung. Er kehrt auch besonders die politische Symbolkraft dieser Namen hervor, die sich zum Beispiel in vielen Umbenennungen in Zeiten politischer Umbrüche äußert. Er geht dann auch besonders auf Namen mit starkem geographischen Bezug ein wie auf Namen, die an heute nicht mehr selbstständige Orte im Wiener Stadtgebiet erinnern; an Orte im Stadtgebiet, die es heute nicht mehr gibt; auf Namen, die auf Orte in der Umgebung hinweisen; auf Namen, welche die Verbindung mit den österreichischen Ländern oder auch mit Orten und Gebieten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zum Ausdruck bringen; auf Namen von Ländern und Städten zur Erinnerung an deren Hilfe für Wien und Österreich nach den beiden Weltkriegen. Der Artikel streicht ferner auch Namen hervor, die sich auf wichtige österreichische Expeditionen, österreichische Polarforscher, Kartographen und Geographen beziehen. Schließlich werden als Namen „mit besonderem geographischen Bezug“ auch noch Straßennamen explizit angesprochen, die sich auf die Donau und andere Gewässer im Wiener Stadtgebiet beziehen.
Social Media Data as a Source for Studying People’s Perception and Knowledge of Environments
Recently, the increasing availability of online social network and media-sharing services (e.g. Facebook, Foursquare and Flickr) has led to the accumulation of large volumes of social media data. These data, especially geotagged ones, contain lots of information about people’s perception of and experiences in various environments. This article presents three case studies to illustrate the potential of these data for understanding people’s perception and knowledge of environments, especially urban environments. Results of the case studies show that social media data are a useful source for studying how people perceive, conceptualise, and feel about environments. Finally, this article discusses some socio-technical challenges that need further investigations when analysing social media data, such as the “digital divide”, data quality, and privacy.