Die Romane von Charles Dickens haben viele Generationen von Lesern in ihren Bann gezogen und befassen noch immer die Wissenschaft. Doch obgleich die große Zahl einzigartiger Charaktere, die Dickens erschuf, die sozialen Missstände, die er anprangerte und die Themenbündel, die sein Werk durchziehen, bereits eingehender behandelt wurden, sind wesentliche Aspekte seines Schaffens noch immer unberücksichtigt geblieben. Wohl setzt man sich zusehends mit den Bauformen der Romane auseinander, doch wie steht es mit ihrer so charakteristischen Feinstruktur? Wie brachte es Dickens zu Wege, anregende und eindrucksvolle Fiktionen in die Welt zu setzen, die eine Vielfalt von Themen, Schauplätzen und Handlungsstrukturen umfassen, ohne es dabei an Ganzheitlichkeit und Überzeugungskraft vermissen zu lassen? Die vorliegende Studie sucht diese Problematik zu erforschen, indem sie eine neue Methode zur Erschließung des Dickensschen Oeuvres einführt. Sie beruht auf der Annahme, dass der den Texten zu Grunde liegende Schaffensprozess zwei komplementäre Kompositionsweisen umfasst, die zum einen als eine dynamische imaginative Kraft, zum anderen als ein sie einengender Ordnungsdrang verstanden werden. Die Veröffentlichung der einzelnen Werke in Fortsetzungsdrucken sowie ihre fortlaufende Rezeption beim Lesepublikum ermöglichten es dem Autor, das Potential jeder einzelnen narrativen Situation auszuschöpfen, woraus sich dann eine plausible Handlungslinie ergeben mochte. Wie die gründliche Analyse mehrerer seiner Romane zeigt, lassen sich Spuren verschiedener Varianten, die ihn beschäftigt hatten, noch immer in den Texten feststellen, was der grenzenlosen Schöpferkraft von Charles Dickens ein beredtes Zeugnis ausstellt.