Angesichts der äußerst spärlich erhaltenen liturgischen Primärquellen für biblische Perikopensysteme der ausgehenden Spätantike ist die liturgiehistorische Forschung auf die Auswertung homiletischer Zeugnisse angewiesen. Für den nordafrikanischen Raum sind dies in erster Linie die Predigten des hl. Augustinus, in welchen sich zahlreiche direkte oder indirekte Hinweise auf eine oder mehrere der in der jeweiligen Liturgiefeier unmittelbar vorangegangenen Schriftlesungen finden. Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel, diese Hinweise auf Basis einer bewusst reflektierten Methodologie und unter Nutzung differenzierter Recherchemöglichkeiten für das gesamte bis dato bekannte homiletische OEuvre Augustins auszuwerten. Die durch Detailanalysen der Texte als sicher, (höchst)wahrscheinlich oder vermutlich erhobenen gottesdienstlichen Schriftlesungen werden in ihrem jeweiligen bibel- und liturgietheologischen Kontext deutlich und auf die ihrer Auswahl zu Grunde liegende Motivation hin befragt. Gleichzeitig tritt das Verhältnis zwischen bereits fest verankerten Lesungen einerseits und deren individueller Wahlmöglichkeit durch den Bischof andererseits in Abhängigkeit von der spezifischen Zeit des liturgischen Jahres zu Tage. Abschließende liturgievergleichende Beobachtungen stellen die Ergebnisse in den breiteren Horizont patristischer Perikopenforschung, um dadurch eine Basis für weitergehende detailliertere Erforschung der vielfach ungeklärten Beziehungen der nordafrikanischen Liturgie zu anderen Liturgiefamilien zu legen und somit etwas mehr Licht in die dunkle Vorgeschichte der seit dem Frühmittelalter nachweisbaren festen Lesesysteme in der Liturgie zu bringen.